Mensch-Tier-Chimäre und ethische Aspekte
Ein neues Gesetz in Japan ist Auslöser einer heftigen Diskussion. Es erlaubt Forschern, Mischwesen aus Mensch- und Tierzellen zu erschaffen und sie schließlich auch auf die Welt zu bringen. Was nach einer Schauergeschichte aus der antik-griechischen Mythologie klingt, soll langfristig Ersatzorgane für kranke Menschen produzieren. Ein Betrachtung der Hintergründe und ethischer Aspekte von Lars Jaeger.
Die spektakulären Berichte aus Wissenschaft und Forschung brechen nicht ab. Von immer mächtigeren künstlichen Intelligenzen, genmanipulierten CRISPR-Babys, neuen Quanten-technologien, Lebensverlängerung durch Veränderung unserer Gene, Supermedikamenten, Fleisch aus 3D-Druckern bis hin zu Wunder-Nanomaterialen – täglich erreichen uns die Meldungen über den rasanten technischen und wissenschaftlichen Fortschritt.
Längst haben Forschungsergebnisse und neue technologische Durchbrüche Philosophen, Politiker und Soziologen auf den Plan gerufen, die die ethischen, politischen und gesellschaftlichen Folgen aus diesen Entwicklungen diskutieren. So stritt sich in diesem Jahr bereits eine EU-Expertengruppe über die Folgen der künstlichen Intelligenz, und der Deutsche Ethikrat beriet über Genmanipulationen am menschlichen Embryo. Beide publizierten entsprechende Empfehlungen.
Experiment ruft Kritiker auf den Plan
Nun ist eine erneute Diskussion entbrannt. Auslöser dafür ist ein neues Gesetz in Japan, das es Forschern erlaubt, Mischwesen aus Mensch- und Tierzellen zu erschaffen und – und das ist das Neue – sie schließlich auch auf die Welt zu bringen. Was nach einer Schauergeschichte aus der antik-griechischen Mythologie klingt, soll langfristig Ersatzorgane für kranke Menschen produzieren. Klingt doch großartig und ist zum Wohle der vielen Menschen, die (zu) lange auf ein Spenderorgan warten müssen. Zugleich ist eine solche Entwicklung sehr umstritten und in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz sogar (noch!) verboten.
Schon 1984 gelang es Forschern, eine Chimäre aus Ziege und Schaf zu erzeugen. Dabei vermengte man die Embryonen zweier Arten, und heraus kam ein Mischwesen. Bei einer solchen Chimäre vermischt sich das Erbgut der beiden Spenden nicht. Vielmehr wachsen die Zellen beider Arten genetisch voneinander getrennt heran. Dadurch können beispielsweise die Bauchspeicheldrüse von der einen Art und die Leber von der anderen Art stammen. Auch äußerlich war das vor 35 Jahren geborene Wesen eine Mischung aus beiden Tieren, was sich zuletzt sogar im Verhalten des Tieres widerspiegelte. In mancher Hinsicht agierte es ziegenähnlich, in anderer Hinsicht wie ein Schaf.
Mehr und mehr Zustimmung zu solchen Experimenten
Doch jetzt folgt der nächste Schritt: Der an der Stanford Universität sowie an der Tokio University forschende japanische Wissenschaftler Hiromitsu Nakauchi, der bereits Bauchspeicheldrüsen und Nieren einer Maus in Rattenembryonen heranwachsen hat lassen, möchte derartige Versuche auch mit menschlichen Zellen durchführen. Dabei haben Wissenschaftler bereits tierische Embryos mit menschlichen Zellen hergestellt, ausgetragen wurden diese bisher allerdings noch nie. Nakauchi will nun auch diesen letzten Schritt gehen. Zu diesem Zweck hat die japanische Regierung bereits im März 2019 die bisherige Regelung modifiziert, die es bis dahin noch verbot, Chimären länger als bis zum 14. Tag der Embryonalentwicklung heranwachsen zu lassen. Offiziell genehmigt werden sollen die Versuche von Nakauchi wohl erst im August 2019. Doch hat sich ein Expertengremium hat sich jedoch bereits dafür ausgesprochen.
Motivation ist klar definiert
Die Motivation hinter diesem Schritt ist klar: Solche Chimären würden entsprechende Organe tragen, die ausschließlich aus menschlichen Zellen bestehen. Organspenden wären dann nicht mehr notwendig. Der Patient erhielte seine neue Niere oder seine neue Bachspeicheldrüse direkt aus dem Körper der Chimäre, dessen Embryo an der entsprechenden Stelle mit den eigenen Zellen des Patienten versehen worden war. Dieses Ersatzorgan hätte dann im Vergleich zu einem Spenderorgan den grossen Vorteil, nicht abgestossen zu werden. Es wäre eine Revolution in der Organtransplantationsmedizin. Die Verfügbarkeit von derartigen implantierbaren Organen könnte Tausende von Menschenleben auf der ganzen Welt retten. In den USA zum Beispiel standen im Januar 2019 rund 113.000 Menschen auf Wartelisten für Organspenden. Bis zu 20 Menschen sterben jeden Tag, während sie auf eine Transplantation warten. Entsprechend stark sind die Stimmen, die Forschung in diese Richtung zu liberalisieren.
Entwicklung ruft Ethiker auf den Plan
Dies hat nun auch Ethiker auf den Plan gerufen, sowie den einen oder andere Politiker. So spricht der deutsche SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach von einem „ethischen Megaverstoss“:
„Mit der Züchtung von Mensch-Tier-Wesen wird eine Grenze überschritten, die wir als Menschen nicht überschreiten dürfen“,
sagt er. Lauterbach warnt bereits vor Versuchen in die andere Richtung: Nach der erfolgreichen Geburt von Tieren mit menschlichen Organen, liessen sich dann nicht auch Menschen mit tierischen Eigenschaften ausstatten? Das letzte Argument lässt sich leicht entkräften: Es gibt für diese andere Richtung schwerlich irgendwelche Anwendungen, ganz im Gegensatz zur Züchtung perfekter Ersatzorgane mit Hilfe von Tieren, deren Embryonen spezifische menschliche Zellen eingegeben wurden. Letzterer Fall liesse sich ohne weiteres gesetzlich vom inakzeptablen Fall der Züchtung von Menschen mit tierischen Eigenschaften abgrenzen.
Chimären-Technik bringt schwerwiegende Probleme mit sich
Doch so plump die Argumentation des Politikers Lauterbach ist, bringt die Chimären-Technik nichtsdestotrotz schwerwiegende ethische Probleme mit sich. Denn sie lässt die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwimmen. Zuletzt könnten sich aus ihr gar Mischwesen, halb-Mensch, halb-Tier (oder auch drei-Viertel-Mensch, ein Viertel-Tier, oder in einem anderen Verhältnis) entwickeln. Wie stünde es dann mit den Rechten eines solchen Wesens? Auch warnen Ethiker schon vor Chimären, die denken können und vielleicht sogar über ein Bewusstsein ihrer Selbst verfügen, ähnlich dem des Menschen.
Da für die Versuche Nakauchis pluripotente Stammzellen verwendet werden, d.h. Zellen, die sich zu jedem Zelltyp eines Organismus differenzieren können, wäre es möglich, dass sich auch menschliche Gehirnzellen in Tieren bilden. Tatsächlich ist es eine der grössten Ängste der Forscher, wohin diese menschlichen Stammzellen bei einem Tier genau gehen, d.h. zu welcher Art von Zellen sie sich entwickeln, sobald sie einmal injiziert sind. Denn wo sie sich genau ansiedeln, ist nur schwer zu kontrollieren.
Technologische Entwicklung mit schwerwiegenden Folgen
Während Nakauchi und sein Team ihre Behandlung zunächst nur auf die Bauchspeicheldrüse ausrichten wollen, verpflichten sie sich dazu das Experiment sofort abzubrechen, wenn sie feststellen, dass mehr als 30 Prozent der Zellen im Tiergehirne menschlichen Ursprungs sind. Dies ist auch Teil der politischen Bedingungen um zu verhindern, dass ein zu „humanisiertes“ Tier entsteht. Wir sehen: Philosophen (Ethiker) und Politiker (Entscheidungsträger) werden durch die technologische Entwicklung weiterhin stark gefordert sein.
Verweise: