Lars Jaeger


Angriff auf unsere Demokratie

Die Daten, die wir Facebook bereitwillig für die Hoffnung auf emotionale Befriedigung durch ein paar „Likes“ zur Verfügung stellen, wurden nicht nur dazu verwendet, uns personalisierte Werbung zukommen zu lassen, sondern auch, um unser Wahlverhalten zu beeinflussen und damit unsere Demokratie zu manipulieren. So langsam wird das ganze Ausmaß des Datenmissbrauchs deutlich. Ein Essay von Lars Jaeger.

Datenmissbrauch

Was passiert mit den Daten, die wir Facebook bereitwillig für

ein paar „Likes“ zur Verfügung stellen?(Foto: bizoon/Clipdealer.de)

Facebook-Chef Mark Zuckerberg betont bei jeder Gelegenheit seine Verpflichtung zu totaler Transparenz, die er und sein Konzern sich auf ihre Fahnen geschrieben haben. „Wir bringen die Welt enger zusammen“ lautet sein Wahlspruch. In Wirklichkeit ist Facebook jedoch ein geheimnistuerisches Überwachungsunternehmen, das sein Geld damit verdient, detaillierte Aufzeichnungen unserer privaten Daten zu sammeln und zu verkaufen. Wer dabei Kunde ist, ist Facebook eigentlich egal. Hauptsache, die Bezahlung stimmt, wie wir spätestens seit dem Datenmissbrauch-Skandal um Cambridge Analytics wissen.

Datenmissbrauch im großen Stil

So langsam wird das ganze Ausmaß des Datenmissbrauchs deutlich. Die Daten, die wir Facebook bereitwillig für die Hoffnung auf emotionale Befriedigung durch ein paar „Likes“ zur Verfügung stellen, wurden nicht nur dazu verwendet, uns personalisierte Werbung zukommen zu lassen, sondern auch, um unser Wahlverhalten zu beeinflussen und damit unsere Demokratie zu manipulieren. Denn neben den unermüdlichen freiwilligen Wahlhelfern und professionellen Spin-Doktoren im klassischen Wahlkampf kommen unterdessen immer mehr computergenerierte automatisierte Skripte zum Einsatz, sogenannte „Bots“. Sie generieren Nachrichten und veröffentlichen diese in sozialen Medien wie Twitter und Facebook.

Und diese Nachrichten werden nicht breit gestreut, sondern sie sind genau auf einen jeweiligen Adressaten und seine politische Meinung abgestimmt. Die Informationen über seine Meinung wiederum werden auf der Basis seines Verhaltens in den sozialen Netzwerken gewonnen. Allzu oft handelt es sich bei diesen Botschaften um schamlose Lügen (im neueren Jargon: „alternative Fakten“). Zwei Beispiele aus dem letzten US-Wahlkampf: Der Papst unterstützt Trump und Hillary Clinton steht einem Ring von Kinderpornografen vor. Es sind insbesondere rechtsextreme Verschwörungstheoretiker, islamophobe, frauenfeindliche und homophobe Gruppierungen und andere extremistische politische Kreise, die in den sozialen Netzen eine ideale Plattform für ihre politische Propaganda erkannt haben und massive Desinformationskaskaden erzeugen.

Es geht also nicht nur um den Schutz unserer Privatsphäre, sondern auch um massive Auswirkungen auf die freiheitliche Grundordnung unserer Gesellschaft, die sich in demokratischen und konstruktiven Debatten und entsprechend freien Wahlen manifestiert. Dort wo Fakten, wissenschaftliche Erkenntnisse und Expertenwissen grundsätzlich in Frage gestellt werden, sind Tür und Tor für beliebige Propaganda geöffnet. Der Kompass für richtig und falsch geht verloren, womit die Fähigkeit zum rationalen Dialog und zur Entscheidung auf der Basis von empirischen Fakten und gemeinsamen Werten angegriffen wird. Und es ist nicht nur die Wahl Trumps zum US-Präsident, die erst durch die Manipulationsmöglichkeiten in der digitalen Welt möglich geworden ist. Vielmehr spielten digitale Wählermanipulationen auch in den Wahlen in Indien 2010, in Kenia 2013 und 2017, bei der Brexit-Abstimmung 2016, in Mexico 2018 und in zahlreichen weiteren Wahlen und Abstimmungen weltweit bedeutende Rollen.

Autoritäre Staaten und der Einsatz von Propganda-Tools

Internet-Propaganda und der Eingriff in Wahlen anderer Nationen ist eine neue Art der politischen Aggression geworden, der sich insbesondere autoritäre Regimes ausgiebig bedienen. Der Begriff „Cyberkrieg“ hat längst Eintritt in militärische Strategien gefunden. So weist viel darauf hin, dass hinter zahlreichen dieser Propaganda-Tools russische Quellen bis hinauf in den Kreml stecken. Dass Russland eine bedeutende Rolle im US-Wahlkampf 2016 gespielt hat, gibt unterdessen selbst Donald Trump zu. Auch in den Zwischenwahlen 2018 dürfte dies der Fall sein, so Fachleute. Der prominente US-Historiker Timothy Snyder zeichnet in seinem neuen Buch Der Weg in die Unfreiheit: Russland, Europa, Amerika ein weitaus umfassenderes Bild von einer systematischen russischen Fehlinformationskampagne der letzten Jahre. Und was er beschreibt, hört sich sehr unheimlich an. Getrieben von einer geradezu mystischen Idee eines göttlichen Russlands und einer stark maskulin-sexuell getriebenen Energie, die sich im Kern auf die faschistischen Ideen des russischen Denkers Ivan Ilyin berufen, will Vladimir Putin die russische Nation gegen den demokratischen Westen zu einer neuen autoritären Weltführungsmacht entwickeln.

Dazu dienen dem Kreml die neuen Medien in nahezu perfekter Weise. Mit dem russischen Propagandakanal RT, High-Tech Hackern und unzähligen Propaganda-Bots manipuliert Putin systematisch den demokratischen Prozess im Westen, unterstützt nationalistische und rechtsextreme Gruppierungen wie die Front National in Frankreich, die UKIP von Nigel Farage in Großbritannien, die AFD in Deutschland oder eben Donald Trump in den USA und streut systematisch Misstrauen in die demokratischen Prozesse und seine Advokaten. Sein Ziel: Erschütterung des öffentlichen Vertrauens in Fakten und Expertenwissen. In Donald Trump hat er einen idealen Kumpan gefunden. Natürlich warten wir immer noch auf die vollständige Entflechtung von Donald Trumps komplexen Beziehungen zur Putin-Regierung und der vielen Verbindungen zwischen seiner Wahlkampforganisation und russischen Aktivisten. Doch für Snyder ist kristallklar: Die Wahl Trumps zum US-Präsidenten ist Putins größter Triumph.

Die westlichen Demokratien unterminieren

An vielen Stellen des Buches ist man versucht zu sagen, Snyder übertreibe und ziehe voreilige Schlüsse, z.B. wenn er Putins irrationalen Bezug auf religiöse und rassistische Wahnideen beschreibt, seine Weltmachtphantasien aufzeichnet oder Trump den von „Russland eingesetzten Kandidat“ nennt. Tatsächlich gibt es zahlreiche Kritiker, die ihm vorwerfen, er dämonisiere Russland zu sehr und einseitig. Nichtsdestotrotz bleibt es sehr beunruhigend, dass es überhaupt im Rahmen des Vorstellbaren liegt, dass Putin über eine derartige Propagandamaschine verfügen könnte, mit der er die westlichen Demokratien unterminieren kann. Und Snyder ist nicht irgendein Winkelhistoriker, sondern ein weltweit anerkannter Experte der osteuropäischen autokratischen Geschichte.

Die Technologien, die Putin dies ermöglichen, wurden allesamt in den freien und offenen Gesellschaften des Westens erfunden und entwickelt, dort, wo sich die Kreativität der Menschen am besten entfalten kann. Doch die Verwendung dieser Technologien ist auch den unfreien Gesellschaften wie Russland möglich. Und bei bösem Willen kann diese stark auf ihre Urheber zurückschlagen, wie uns Timothy Snyder und Facebook eindrucksvoll darlegen. Die Heilsversprechen einer technologischen Elite aus dem Silicon Valley könnten sich zuletzt als ein Horror für die offene Gesellschaft erweisen.