Marlen Abertini


Wahldebakel: FDP erkämpft sich die Freiheit zurück

Herzlichen Glückwunsch, liebe FDP! Nein zum Geschwurbel, Nein zur Alternativlosigkeit und Nein zu einem lähmenden Zwangsbündnis ohne Zukunftsvisionen. Nein zu einer Kanzlerin, die moderiert, aber nicht führt. Nein zu Mitstreitern, die Bewegung einfordern, die sie selbst zu geben nicht bereit sind. Nein zur Jamaika-Koalition! Ein Kommentar von Marlen Albertini.

Die FDP lässt Jamaikaträume platzen. (Foto: Rouslan / Clipdealer.de)

Wie haben wir mit der FDP gehadert. Die immer gleichen lobbygeprägten Floskeln und Bevorzugungen bestimmter Bevölkerungsschichten. Ja – und auch die oftmals herablassenden Haltungen und Besserwissereien, wenn es um die ärmeren Schichten geht, wurden zum großen Ärgernis. Wie haben wir uns darüber gewundert, als liberale Partei dem Liberalismus derart zu entgleiten. Wie sehr geärgert über plakativ gestaltete Worthülsen, die Freiheit predigen, in Wahrheit jedoch exzessiv eine Ideologie ausleben, androhend, sie ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen.

Machthunger vs. Authentizität

Als nach der Bundestagswahl der Pegel einer neuen Regierungskonstellation Richtung Jamaika wies, war es die FDP, der man Machthunger als Erstes unterstellte. Sie war es auch, der man am wenigsten Authentizität zusprach und besonders misstrauisch beobachte. Kehrt nun ein Hauch Liberalismus zurück? Vielleicht entwickelt die FDP tatsächlich neue Kräfte, über den wohlverdienten Schatten ihrer erfolglosen Vergangenheit zu springen. Dazu zählt auch, die Grenzen der eigenen Ideologien zu überwinden und den Anspruch des Regierens für die Gesamtbevölkerung zu reaktivieren. Das ist nach wie vor und verfassungsrechtlich verbriefte Aufgabe – und nicht etwa das einseitige und lange praktizierte Turteln mit Wirtschaftseliten, Lobbyisten & Co. Vielleicht ist sie in der Lage, Freiheit nicht nur für sich selbst zu definieren und es vielmehr als großes Gesellschaftsthema zu installieren.

„Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit: Das ist der Grund, weshalb die meisten Menschen sich vor ihr fürchten“,

wusste schon George Bernard Shaw. Auf die Partei bezogen heißt das: Themen, die Menschen wirklich und unmittelbar betreffen mit einzubeziehen in die politische Arbeit. In den Koalitionsvorverhandlungen kamen sie (Arbeit 5.0, Fortentwicklung der Digitalisierung, Bürokratieabbau, Rente, Mindestlöhne etc.) praktisch nicht vor, obwohl sie eng mit dem Begriff Freiheit für jeden einzelnen in diesem Land zusammenhängen.

Zeit für moderne Politik und Visionen

Und noch etwas könnte diese Partei geraderücken: Die Bürger sind mündig und reif für eine moderne Politik mit Zukunfstperspektiven. Neuwahlen sind keineswegs problematisch, sondern demokratisch. Andere Spitzenkandidaten könnten vieles bereinigen, auch die künftige Kanzlerschaft. Angela Merkel hat den zeitgerechten Rücktritt schon lange verpasst. Dass wirklich niemand da sein könnte, der sie ersetzt, entspringt eher dem Märchen aus tausendundeine Nacht, als der demokratischen, bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Die globalen Herausforderungen sind gigantisch. Zeit also für mehr Mut und Courage. Mit der Absage an verkrustete Strukturen jedenfalls erkämpft sich die FDP gerade ein Stückchen Freiheit zurück – und durchbricht damit den ewigen Kreislauf des Stillstands gleich noch dazu.
 

Verweis: Der Rücktritt ist ein Ritual