Buchrezension: „Es wird eine Rebellion geben“
„Es wird eine Rebellion geben“. Wirklich? Schwer vorstellbar! Frank A. Meyer, Schweizer Journalist, Publizist und Präsident der Hans Ringier Stiftung sieht das wohl anders. Er betitelt seine Publikation, die im Orell Füssli Verlag erschienen ist, mit eben dieser reißerischen These. Eine Rezension von Ursula Pidun.
Was den Publizisten Frank A. Meyer dazu bewegt, an eine nahende Rebellion zu glauben, versucht er in seiner bereits im Jahr 2014 erschienenen 250-seitigen Publikation relativ sachlich und erfreulich wenig polemisch aufzudröseln. Dies macht er nicht allein. Der Journalist, Buchautor und Verleger Jakob Augstein steht ihm zur Seite. Kritisch und spürbar wohlgesonnen begleitet er Meyer auf seiner Reise durch den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen IST-Zustand unserer modernen westlichen Welt.
Querbeet werden Themenfelder beackert, die allemal Potenzial in sich tragen, eine Rebellion anzuzetteln. Das ambitionierte Pensum zu durchforsten gelingt, ohne sich in der Flut der dargebotenen Themen zu verzetteln. Ob Kapitalismus, Demokratie, Menschenrechte, Moral, Religion, Zukunft der Medien und Tiefgründiges zum Leben, aber auch dem unausweichlichen Tod – kaum ein Bereich bleibt unberührt. Doch führen die beschriebenen Umstände und Verhältnisse, tatsächlich irgendwann zu einer Rebellion?
Die Sache mit dem brachialen Kapitalismus
Meyer, der die leidenschaftlichen und teils kontroversen Dialoge im Buch mit eigenen, in der Vergangenheit bereits veröffentlichen Beiträgen umrahmt, stupst den Leser in relativ schneller Abfolge auf eben jene Verhältnisse und Abgründe, die jeder wohl kennt, sich mangels echter Alternativen irgendwie mit ihnen arrangiert, sie schließlich aber verdrängt. Beispielsweise weil sie sich nicht durch Eigenschaften wie „modern“, „zukunftsfähig“ und „zum Wohle der Bürger“ auszeichnen. Sein Weckruf zielt etwa auf den brachialen Kapitalismus. Der nämlich zeigt seine besonders zynische Seite seit der Wiedervereinigung und legt seither keinen all zu großen Wert auf ein gutes Image. Mögliche Gründe dafür legt der Autor plausibel dar. Allein deshalb lohnt es, das Buch zu lesen.
Kabinettstücke der politischen Streitkultur
Augstein, der sich als hellwacher Gesprächspartner vereinnahmen lässt, wird seiner Rolle als unbequemer Provokateur gerecht. So geht er auf unsanft dargebotene Brocken ein, bohrt nach, kontert auf seine ganz typische Weise und bietet mit eigenen Thesen Paroli. Schließlich geht es beiden darum, herauszufinden, was unsere Demokratie in diesen Zeiten benötigt, damit eben diese Verhältnisse im besten Fall irgendwann einmal erträglicher werden.
„Kabinettstücke der politischen Streitkultur und der intelligenten Provokation“ – mit diesen Worten wird im Bucheinband um Leser geworben. Werden die Inhalte dieser Publikation diesem Anspruch gerecht? Es ist und bleibt ein Gespräch unter Journalisten und als solches wird es natürlich von subjektiven Eindrücken, Befindlichkeiten, Theorien und Analysen geprägt. Vieles lässt sich durchaus anders sehen.
Die Sache mit den „neuen“ alten Medien beispielsweise. Seit nunmehr über 30 Jahren sind sie präsent. Noch bevor das iPad verschwindet – wie Meyer düster prognostiziert – verflüchtigen sich wohl eher jene Medien, die das Prinzip des Internets mit dem für jedermann jederzeit zugänglichen Informationsanspruch nicht verstehen und ihre – qualitativ durchaus auch defizitären Inhalte – lieber hinter Bezahlschranken verbarrikadieren.
Initialzündung für eine mögliche Rebellion
Auch Meyers Statement zu Google, Facebook & Co. überzeugt nicht. Die Internet-Giganten sind nicht als Konkurrenz zur Print-Branche angetreten, sondern sehen sich allenfalls aufgrund ihrer Monopolstellung berechtigter Kritik ausgesetzt. Vielleicht ist die Skepsis zu den „neuen“ alten Medien auch der Grund, warum sich die Autoren im Kreise drehen, die Initialzündung für eine mögliche Rebellion im Verlauf der Publikation dann doch lieber nicht preisgeben und den Blick in die Zukunft und sich damit Entwicklungen, die längst im Gange sind, verweigern.
Dies, obwohl bahnbrechende Umbrüche bereits unmittelbar vor der Tür stehen. Die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen durch Einführung eines „Bedingungsglosen Grundeinkommens“ beispielsweise, wodurch sich eine Reihe der angesprochenen Probleme, Abhängigkeiten und Ungerechtigkeiten auflösen lassen. Oder aber die nahende drastische Absenkung der Arbeitsstunden. Schließlich werden wir in immer kürzerer Zeit immer produktiver. Die Wirtschaft jedoch hat – übrigens unter tatkräftiger Unterstützung von Politik und Medien – Arbeitszeiten und Einkommen nicht einmal ansatzweise angeglichen, wodurch Schieflagen erst entstanden sind.
Intellektuelle Kraft in Zukunftsfragen stecken
Auch ein Internet 3.0, das innerhalb einer weiteren Entwicklungsstufe das Phänomen „Sharing“ unter anderem in den Bereichen Arbeit, Wohnen und Mobilität zum Thema macht, findet keinerlei Erwähnung. Gleiches gilt für den sogenannten „Raubtierkapitalismus“, der zwar im Buch zum Thema wird. Nicht jedoch in Hinblick auf die Entwertung der Arbeit und der Tatsache, dass sich die Wirtschaft den eigenen Ast absägt. Wenn der Einzelne nicht mehr ausreichend Einkünfte erzielt, verliert Kapital in sich an Wert. Als Folge werden ganz andere Wirtschaftsmodelle eingefordert, die endlich wieder dem Menschen dienen. Solche Modelle werden längst diskutiert.
Rebellion kontra Reformen
Schließlich sucht der Leser auch vergebens Worte zu derzeitigen Politik, die besonders dadurch auffällt, zu all diesen Zukunftsthemen praktisch keinerlei Antworten zu liefern. Bestehende Zustände werden nun einmal nicht durch Nachbesserungen, Herumwerkeleien und endlose Debatten verbessert, sondern mittels Ablösung durch neue, wesentlich bessere Konzepte.
Dann aber steht keine Rebellion, sondern Reformeifer im positiven Sinne vor der Tür. Die Zeit ist reif dazu. Sie bietet auch Frank A. Meyer und Jakob Augstein viel Stoff, den IST-Zustand hinter sich zu lassen und die intellektuelle Kraft in Zukunftsfragen zu investieren. So wird Systemkritik aktiviert, die ansonsten schnell ins Nirwana führt. Am Ende der Publikation schreibt Meyer: „Das Bürgersein ist das gesellschaftliche Hinausgehen der Menschen über sich selbst.“ Zum Glück sind auch Journalisten Bürger.
Thx für den Buch-Tipp. Werde es mir zu Gemüte führen. Und wie wahr. Mit Fortschritt hat das politische Hermgemurkse ehr nichts mehr zu tun.
Super Beitrag. Grundeinkommen gewinnt tatsächlich an Fahrt. Seht hier:
https://www.mein-grundeinkommen.de/start