Ursula Pidun


Bedingungsloses Grundeinkommen muss nicht das ganze System „umkrempeln“

Kann ein bedingungsloses Grundeinkommen glücklich machen und muss die Umsetzung gleich das ganze System umkrempeln? Welche Bedeutung hat Glück in der Forschung und gibt es auch Faktoren aus dem Blickwinkel der interdisziplinären Glücksforschung, die zum Glücklich-Sein führen? Zu diesen und weiteren Fragen sprechen wir im Rahmen unseres Schwepunktthemas "Bedingungsloses Grundeinkommen" mit dem Glücksforscher und Volkswirt Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel.

Der Experte hat seit 1995 eine Professur für Volkswirtschaftslehre an der TH Nürnberg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Makroökonomie, insbesondere Geld- und Währungspolitik, Psychologische Ökonomie und Interdisziplinäre Glücksforschung. Er ist Mitautor des Lehrbuchs „Europäische Geldpolitik“ (6. Auflage 2013) und des Fachbuches „Gesundes Führen mit Erkenntnissen der Glücksforschung (2014), das sich insbesondere an Führungskräfte richtet.

Herr Prof. Ruckriegel, Nicht nur zum Jahresauftakt sind die Menschen auf der Suche nach dem Glück. Wie definieren Sie als Volkswirt und Glücksforscher diesen Begriff?

Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel

(Foto: K. Ruckriegel)

Die interdisziplinäre Glücksforschung beschäftigt sich mit Glück im Sinne des Glücklich-Seins, also mit dem subjektiven Wohlbefinden und nicht mit dem Glück-Haben, also dem Zufallsglück (z. B. der Wahrscheinlichkeit eines Lottogewinns). Subjektives Wohlbefinden hat dabei zwei Ausprägungen: „emotionales“ und „kognitives“ Wohlbefinden.

Mit emotionalem Wohlbefinden ist die Gefühlslage im Moment gemeint, wobei es im Wesentlichen auf das Verhältnis zwischen positiven und negativen Gefühlen im Tagesdurchschnitt ankommt. Hier geht es um das Wohlbefinden, das Menschen erleben, während sie ihr Leben leben.

Beim kognitiven Wohlbefinden geht es um den Grad der „Zufriedenheit“ mit dem Leben. Hier findet eine Abwägung zwischen dem, was man will (den Zielen, Erwartungen, Wünschen), und dem, was man hat, statt. Es geht also um das Urteil, das Menschen fällen, wenn sie ihr Leben bewerten, wobei es hier entscheidend auf die Ziele ankommt, die Menschen für sich selbst setzen. Eine glückliche Person erfreut sich häufig (leicht) positiver Gefühle und erfährt seltener negative Gefühle im Hier und Jetzt und sieht einen Sinn in ihrem Leben, verfolgt also sinnvolle (Lebens-) Ziele.

Und welchen Anteil hat die Volkswirtschaftslehre an der Glücksforschung?

Die Glücksforschung ist (auch) ein Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre. In der Volkswirtschaftslehre beschäftigen wir uns mit der Frage, wie man mit knappen Ressourcen umgehen soll, um die gesetzten Ziele am besten zu erreichen. Konkret gesprochen geht es also darum, wie wir mit unserer Zeit (Input) umgehen sollen, um ein gelingendes, glückliches, zufriedenes Leben leben zu können (Glücklich-Sein). Und dabei/ dazu ist die Erzielung von Einkommen nur ein Mittel zum Zweck. Einer der weltweit bekanntesten Glücksforscher, der Ökonom Angus Deaton (Princeton University) bekam 2015 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für sein Lebenswerk.

Gehört zu einer zufriedenstellenden subjektiven Befindlichkeit vor allem auch eine ökologische Basis, die Sicherheit vermittelt?

Seit 2011 veröffentlicht die OECD ihren Better Life Index. Zentrale Größe in diesem Index, der insgesamt 11 Indikatoren um fasst, ist das subjektive Wohlbefinden. Ein wichtiger Faktor für das subjektive Wohlbefinden ist in der Tat auch die Qualität der Umwelt.

Nur Wachstum kann den Wohlstand unserer Gesellschaft sichern, hören wir praktisch täglich aus Wirtschaft und Politik. Trifft das überhaupt zu und baut das nicht einen enormen Druck auf, der das Wohlbefinden und damit das Empfinden von Glück erschwert?

Man muss hier zunächst begrifflich zwischen Wohlstand und Wohlbefinden unterscheiden. Mit Wohlstand ist die materielle Güterverfügbarkeit gemeint und Wohlstand und Wohlbefinden korrelieren zur bis zu einem bestimmten Punkt positiv. Wie ich bereits ausgeführt habe, geht es beim Wohlbefinden um viel mehr. Wir wissen aus der interdisziplinären Glücksforschung, dass – nachdem die materiellen Grundbedürfnisse gedeckt sind, mehr Geld/Einkommen (Wohlstand) das subjektive Wohlbefinden nicht mehr erhöht. Es deutet dabei Einiges darauf hin, dass wir diese Situation in (West-) Deutschland im Großen und Ganzen schon in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts erreicht haben. Warum ist das so? Zum einen passen sich die Ansprüche und Ziele an die tatsächliche Entwicklung an, d. h. mit steigendem Einkommen steigen auch die Ansprüche, so dass daraus keine größere Zufriedenheit erwächst (sog. hedonistische Tretmühle), nachdem die materiellen Grundbedürfnisse gedeckt sind.

Zum anderen ist – sofern die materielle Existenz gesichert ist – , weniger das absolute Einkommen, sondern vielmehr das relative Einkommen – das heißt das eigene Einkommen im Vergleich zu anderen – für den Einzelnen entscheidend. Bei einem generellen Einkommensanstieg für alle: Es kommt einfach zu einer Erhöhung der sozialen Norm, so dass die Zufriedenheit nicht steigt, da alle mehr haben. Bei unterschiedlichen Einkommensveränderungen: Die Summe der Rangplätze in einer Volkswirtschaft ist fix – steigt einer auf, muss ein anderer absteigen – ein Nullsummenspiel.

Prekäre Beschäftigungen und Überforderungen im Job zählen sicher nicht zu den Glücksfaktoren. Was müsste sich ändern, um solche Schieflagen, die seit Jahren zunehmen, abzubauen?

Das Bild ist hier gemischt: Zum einen: 2013 kam es zu einer Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz. Es wurde klargestellt, dass Unternehmen auch eine psychische Gefährdungsbeurteilung vornehmen müssen. Es gilt psychische Gefährdungen am Arbeitsplatz zu vermeiden. In diesem Zusammenhang spielen natürlich Fragen der Überforderungen eine wichtige Rolle. Andererseits sollten wir uns natürlich auch selbst fragen, ob wir uns nicht zu stark von einem immer Höher, immer Weiter, immer Schneller vereinnahmen lassen. Wir alle haben nur 24 Stunden am Tag. Nutzen wir die 24 Stunden wirklich so, dass unser subjektives Wohlbefinden nicht zu kurz kommt? Sind wir nicht zu stark auf das Materielle fixiert? Wie steht es mit Zeit für unsere sozialen Beziehungen, für unsere Gesundheit? Stehen wir hinter dem was wir tun? Passt also die Zeit, in der wir arbeiten, auch zu unserer work-life-balance oder müssen wir hier selbst aktiv etwas ändern?

Zum anderen: 2015 wurde der Mindestlohn eingeführt. Wir müssen aber noch viel weiter gehen. Es muss darum gehen, Arbeit ganz neu zu bewerten. Dass Arbeitsplätze in der industriellen Fertigung relativ gut entlohnt werden, Arbeitsplätze im Bereich Fürsorge eher schlechter, hat auch etwas mit überkommenen gesellschaftlichen Vorstellungen zu tun. Hier sollte man neu ansetzen. Es geht aber auch ganz generell darum, etwas gegen die Ungleichheit in der Gesellschaft, die in den letzten 20 Jahren insgesamt zugenommen hat, zu tun. Etwa durch gute Löhne, einem fairen Steuersystem, gleichen Bildungschancen für alle und höheren Bildungsinvestitionen.

Vor einhundert Jahren gab es bereits den 8-Stunden-Tag. Es gibt ihn noch heute und dies trotz Computerzeitalter und immenser Rationalisierungserfolge. Warum fällt es so schwer, arbeitsteiliger zu werden und moderne, angepasste Arbeitszeiten einzuführen, die den Menschen dann auch mehr Freiräume lassen?

Wir wissen aus der Glücksforschung, dass uns – nachdem die materiellen Grundbedürfnisse befriedigt sind – mehr Materielles nicht glücklicher/zufriedener macht. Wir brauchen hier deshalb ein Umdenken in der Politik, den Unternehmen, aber auch bei uns selbst. Wir wissen, dass Arbeit wichtig ist. Wir brauchen Arbeit, da wir etwas Sinnvolles mit unserer Zeit anfangen wollen. Wir brauchen Arbeit, um Einkommen zu erwirtschaften. Arbeit schafft Möglichkeiten zur geistigen Weiterentwicklung. Arbeit vermittelt das Gefühl, gebraucht zu werden, stärkt unser Selbstvertrauen, schafft Identität und bietet soziale Kontaktmöglichkeiten. Aber Arbeit ist nur ein Teil. Wir brauchen genauso ein lebbare work-life-balance. Falls die Schieflage beim Einzelnen zu groß ist, sollten auch individuelle Anpassungen, d.h. i.d.R. Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich, kein Tabu sein. Letztlich ist ja entscheidend, wie ich meine 24 Stunden nutze. Und Einkommen ist bekanntlich nur ein Mittel zum Zweck.

Im Gespräch ist immer häufiger ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es soll jedem Bürger ohne jegliche Bedingung ein kleines Einkommen pro Monat garantieren und somit eine minimale Basis der ökonomischen Sicherheit bieten. Kann das Bewusstsein, über eine solche Unabhängigkeit deutlich und vor allem langfristig zum Glück beitragen?

Das ist ein überlegenswerter Ansatz. Dazu braucht man aber nicht das ganze System „umkrempeln“. Es genügt m.E. eine bedingungslose Grundabsicherung, falls man sonst kein Einkommen erzielt – ohne Auflage zur Arbeitsaufnahme. Eine solche Auflage ist bisher mit der Inanspruchnahme Arbeitslosengeld II (Stichwort Hartz IV) verbunden. Ich sehe allerdings keinen großen Sinn darin, dass alle Bürger ein solches Einkommen bekommen sollen, unabhängig davon, was sie sonst an Einkommen beziehen. Ich spreche daher lieber von einer bedingungslosen Grundabsicherung.

Skeptiker stellen gerne die Frage, wer dann noch arbeiten möchte? Die Frage impliziert im Prinzip die Erkenntnis, dass noch immer viele Menschen einen eher ungeliebten Job ausführen müssen. Spornt ein BGE als soziales Sicherungssystem aber im Gegenteil nicht eher an und offenbart Talente und Kreativität?

Wieso soll man nicht mehr arbeiten wollen? Die generelle Idee, dass Arbeit Leid verursacht, das man durch Einkommen kompensieren müsse, findet sich zwar (noch) – zumindest implizit – in vielen volkswirtschaftlichen Lehrbüchern, ist aber realitätsfremd (wie vieles andere in diesen Lehrbüchern). Ich habe bereits darauf hingewiesen, wie wichtig Arbeit für uns, für unser Wohlbefinden ist.

In jedem Fall befreit es vom Zwang zur Aufnahme einer gänzlich unerwünschten Arbeit. Es wäre damit eine der größten Entwicklungsschritte überhaupt und würde zudem auch bisher nicht bezahlte Arbeiten wie etwa Kindererziehung und Pflege von Angehörigen anerkennen?

Der Zwang würde entfallen. Arbeitgeber müssten sich Gedanken machen, wie eine gänzlich unerwünschte Arbeit attraktiver werden könnte, damit sie überhaupt jemand macht.

Welche weiteren Vorteile und ggf. auch Nachteile sehen Sie auf dem Weg zu ein wenig mehr Glück für jeden einzelnen Bürger durch ein BGE?

Die bedingungslose Grundabsicherung könnte das Wohlbefinden Einiger verbessern. Es kommt aber darauf an, wie die freie Zeit verwendet wird. Und da können die Erkenntnisse der interdisziplinären Glücksforschung wichtige Einsichten liefern. Das gilt natürlich auch für die weit überwiegende Mehrheit, die ein solches Grundeinkommen nicht in Anspruch nehmen würde.

Gibt es vom Glücksexperten ein Rezept, was der Einzelne tun kann, um sein Glück und damit das Wohlbefinden festzuhalten, falls er darüber schon verfügt?

Wir können alle an unserem Wohlbefinden arbeiten. Zunächst geht es im Sinne des emotionalen Wohlbefindens darum, sorgsam mit seinen Gefühlen umzugehen. Neuere Forschungsergebnisse aus der Psychologie legen nahe, dass man hier im Tagesdurchschnitt mindestens auf ein Verhältnis von 3:1 (positive Gefühle : negativen Gefühlen) kommen sollte. Und da können wir viel tun. Wir wissen, dass wir eine Art Negativ-Bias haben: Wir nehmen die negativen Dinge weitaus intensiver wahr als die positiven. Wir können dies ändern und die positiven stärker in den Mittelpunkt rücken und dadurch unsere positiven Gefühle stärken.

Wie lässt sich dies praktisch umsetzen?

Dies gelingt etwa, indem man zwei bis drei Mal pro Woche abends ein Dankbarkeitstagebuch schreibt und die drei Dinge aufschreibt, für die man in den letzten 24 Stunden dankbar war. Dies schärft unseren Blick für das Positive. Man sollte dies zwei oder drei Monate tun. Dann ändert sich die Sichtweise auf das Leben. Auf der anderen Seite muss man nicht jedes negative Gefühl haben. Man sollte bewusst mit seinen negativen Gefühlen umgehen. Es macht zu Beispiel keinen Sinn, sich darüber aufzuregen, dass man im Stau steht. Dadurch kann man nichts ändern.

Auf der anderen Seite sollte man sich – bezogen auf das kognitive Wohlbefinden – werthaltige und realistische Ziele setzten. Werthaltige Ziele sind persönliches Wachstum, soziale Beziehungen und Beiträge zur Gesellschaft, da sie uns ermöglichen unsere psychischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit am besten zu befriedigen. Ziele wie Geld, Schönheit und Popularität sind hier weniger zielführend und tragen daher weniger zur Lebenszufriedenheit bei. Unsere Ziel sollte aber auch realistisch sein, das heißt, es sollte auch eine Chance bestehen, sie zu erreichen. Wenn ich mir persönlich nun das Ziel setzen würde, ab der nächsten Saison beim 1. FC Bayern in der 1. Mannschaft in der Fußball-Bundesliga mitspielen zu wollen, wäre das ein Ziel, welches (absolut) nicht realistisch wäre. Es kommt also entscheidend darauf an, welche Ziele wir uns setzen.

Source: Prof. Ruckriegel über das BGE, Wege zur attraktiven Arbeit und erforschtes Glück.