Ursula Pidun


Ex-„Stern“-Reporter Gerd Heidemann: „Journalisten sind immer nur so gut wie ihre letzte Geschichte“ (4/4)

Gerd Heidemann in seinem Hambuger Archiv (Fotorechte: Christopher Pidun)

Ex-„Stern“-Reporter Gerd Heidemann, der in den 1950er Jahren als freier Fotoreporter begann und fast drei Jahrzehnte für das Nachrichtenmagzin „Stern“ tätig war, fasste nach dem Desaster um die Hitler-Tagebücher bis auf wenige, einzelne Aufträge als Freier Journalist beruflich nie wieder Fuß. Im letzten Teil unseres vierteiligen Interviews erzählt Gerd Heidemann, womit er sich seit dem Medienskandal befasst, welche Pläne er derzeit hegt und was er vom heutigen Journalismus hält.

Nach dem Mega-Flop mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern, der als einer der größten Medienskandale in die deutsche Geschichte einging, gab es für Ihr Leben eine tiefe Zäsur. Hat sie niemals mehr ein Verlag gefragt, ob sie wieder als Reporter tätig werden wollen? Oder haben Sie von sich aus damals sofort einen beruflichen Schlußstrich gezogen?

Nach der Tagebuch-Pleite war ich erst noch eine zeitlang als freier Journalist tätig und arbeitete für einen befreundeten Pressefotografen und auch für „BILD“. Außerdem lieferte ich dem „SPIEGEL“ und anderen Blättern Fotos aus meinem zeitgeschichtlichen Fotoarchiv.

Für die Hamburger Kriminalpolizei konnte ich einen Fall lösen und dafür eine sehr hohe Belohnung einstreichen. Um eine Festanstellung habe ich mich allerdings nie mehr bemüht. Wegen meiner Schulden beim Finanzamt, den Rechtsanwälten, der Gerichtskasse und den Werften wäre mir dann auch kaum etwas von meinem Gehalt geblieben.
 

Alle Fotorechte: Gerd Heidemann

Womit haben Sie sich dann in den vergangenen Jahrzehnten beschäftigt und was tun Sie heute? 

Meine Hauptarbeit gilt seit vielen Jahren und bis heute meinem historischen und zeitgeschichtlichen Archiv, das immer mehr Studenten, Historiker und Journalisten in Anspruch nehmen. Ich hatte mir nach dem Erlebnis mit den falschen Tagebüchern vorgenommen, niemals wieder auf Fälschungen hereinzufallen. Darum versuchte ich, mit Dokumenten und Fotos fast jeden Tag der jüngsten Geschichte zu dokumentieren. So umfasst das Archiv heute über 7000 Ringordner mit über hunderttausend Fotos und sicher mehr als eine Million Dokumente.

Wenn Sie heute Nachrichtenmagazine lesen – print und/oder online – was geht Ihnen durch den Kopf? Hat der Journalismus an substantiellen Inhalten gewonnen oder befindet er sich auf dem direkten Weg in die Selbstzertrümmerung?

Archiv Heidemann

Das Heidemann-Archiv in Hamburg.

(Fotos: G. Heidemann)

Von dem heutigen Journalismus halte ich nicht mehr viel. Ich weiß ja am Besten, welche Lügen diese Schreiberlinge über mich verbreitet haben. Mir wurde von solchen Leuten sogar vorgeworfen, ich hätte die damalige „Stern“-Veröffentlichung dazu benutzt, den Nationalsozialismus zu rechtfertigen.

In Wirklichkeit hatte ich mit der Veröffentlichung der Geschichte über die Tagebücher gar nichts zu tun, bekam den Artikel vor dem Druck nicht einmal zu lesen. Es wurde immer so berichtet, als würde ein Reporter entscheiden, welche Serie im Stern erscheinen würde. Aber das ist doch wohl Entscheidung der Chefredaktion. Früher hieß es: „Es waren einmal zwei Redakteure, die hatten nur eine Schere. Der andere, aus Not getrieben, hat endlich was geschrieben.“ Das bezog sich darauf, dass man sich die Agenturmeldungen für das Layout der Zeitung zurecht schnippelte.

Und Reporter und Redakteure heute?

Journalisten sind immer nur so gut wie ihre letzte Geschichte. Das betrifft ja nicht nur mich. Doch heute holen sich die Reporter und Redakteure ihre Informationen hauptsächlich aus dem Internet und übernehmen dabei alle Fehler und Lügen ihrer lieben Kollegen.

Es gibt nur noch wenige Journalisten in Deutschland, die fähig zu guten Recherchen sind. Man kann sie an einer Hand abzählen und im jugendlichen Alter sind sie auch nicht mehr. Wenn an den Journalistenschulen nicht mehr Wert auf gute Ausbildung auf diesem Gebiet gelegt wird, sehe ich schwarz. Da ich aber inzwischen kaum noch Magazine und Illustrierte lese, kann ich letztendlich nicht gut beurteilen, ob diese Blätter an substantiellen Inhalten gewonnen oder verloren und damit neben dem Internet und Fernsehen noch eine Zukunft haben.

Gerd Heidemann

Gerd Heidemann – Leben eines Ausnahmereporters. Alle Fotorechte: Gerd Heidemann

Das Gespräch führte Ursula Pidun/SPREEZEITUNG Berlin

 
 
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Source: Gerd Heidemann: "Journalisten sind immer nur so gut wie ihre letzte Geschichte"