Ursula Pidun


„Die Logik der Waffen“ – Interview mit TV-Journalist Ulrich Tilgner

Seit mehr als 30 Jahren berichtet TV-Journalist Ulrich Tilgner aus den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt. In seiner Publikation "Die Logik der Waffen" analysiert der Experte die Auswirkungen westlicher Politik und zieht in Hinblick auf die vielen Jahre Krieg gegen den Terror eine überaus düstere Bilanz.

TV-Journalist Ulrich Tilgner berichtet seit mehr als 30 Jahren aus den Ländern Jordanien, Iran, Irak und Afghanistan. Der Experte arbeitete viele Jahre als Korrespondent für das ZDF und publiziert heute unter anderem für das Schweizer Fernsehen (SRF). Bereits Ende 2012 erschien seine Publikation „Die Logik der Waffen“. Tilgner analysiert dort die Auswirkungen westlicher Politik in den Krisenherden im Nahen und Mittleren Osten. Seine Bilanz fällt düster aus. Nachgefragt.

Ulrich Tilgner, der Titel Ihrer Publikation „Die Logik der Waffen“ weist in Hinblick auf den Umgang der westlichen Welt mit dem Krisenproblematiken im Orient bereits auf das Kernproblem hin. Welches Resümee ziehen Sie nach elf Jahren Krieg gegen den Terror?

(Foto: Ulrich Tilgner)

Dieser Krieg ist gescheitert. Dies hat verschiedenste Ursachen. Militärisch kann man Terror gar nicht begegnen. Entwicklungspolitisch gibt es ebenfalls nur sehr begrenzte Erfolge. Nach weiteren Rückschlägen in Libyen und Syrien wird der Krieg heute geheim und indirekt fortgesetzt.

Um die ungeheuerlichen Ausgaben für Kriege zu sparen, setzen die USA und andere Staaten im Westen auf Professionalisierung und Automatisierung. Zudem verschieben sich im Rahmen der Globalisierung und der anstehenden Veränderungen bei der Gewinnung von Rohstoffen für die Energieerzeugung weltweit die Interessengebiete und Konfliktzonen.

Barack Obama gilt seit langem als Schlüsselfigur für Friedensbemühungen in den Krisenherden des Nahen und Mittleren Osten und wird diesbezüglich sogar als „Friedenspräsident“ gehandelt. Ihre Hoffnungen sehen Sie allerdings enttäuscht?

Der US-Präsident ist kein Präsident des Friedens: Guantanamo, geheime Drohneneinsätze und Cyberkrieg oder auch die Massierung der US-Streitkräfte im pazifischen Raum sprechen eine andere Sprache. Obama modernisiert die US-Politik, aber seine Priorität bildet nicht Frieden, sondern eine andere Nutzung der Ressourcen der Vereinigten Staaten. Leider erfolgt diese Politik indirekt und wird von außen zu oft fehlinterpretiert. In den USA selbst wird die Kritik an dieser Politik immer lauter.

Worin liegen aus Ihrer Sicht die Ursachen für ein derartiges Versagen?

Versagen würde ich es nicht nennen, dieser Begriff wurde im Zusammenhang mit Obamas Amtsvorgänger zu Recht überstrapaziert. Der derzeitige Präsident hat ein Gefühl für das Machbare und dies leitet ihn. Dabei scheint er getrieben von der Idee, den zunehmenden Machtverlust der USA noch aufhalten zu können. Praktisch versucht er, die globale Dominanz der USA mit seiner Politik der „smart power“ aufrechtzuerhalten. Oft wird die Politik indirekt durchgesetzt, indem er andere Staaten für seine Zwecke einsetzt und benutzt.

Sie gehen noch weiter und erläutern, dass unter Obamas Regierung verdeckte Kriege im Vergleich zur Bush-Regierung noch ausgeweitet wurden. Welche Gründe stehen dahinter und zu welchen Konsequenzen kommt es dadurch?

Verdeckte Kriege führen die USA in Pakistan, Jemen und einigen Ländern Afrikas. Die Lehren aus den militärischen Einsätzen in Afghanistans und Irak ist ja, dass derartige Kriege nicht zu bezahlen sind. Nach einer Studie an der Harvard-Universität belaufen sich die direkten, indirekten und die Folgekosten für diese Kriege auf sechs Trillionen US Dollar (eine US-Trillion ist eine deutsche Billion, also 1000 Milliarden), das sind knapp 5.000 Milliarden Euro. Obama weiß, dass weitere Kriege die USA nicht stärken sondern nur schwächen können und das Land damit um die Fähigkeit bringen würden, machtpolitisch und militärisch mit China zu konkurrieren.

Sie sprechen auch davon, dass die USA „Schattenkriege“ in Drittstaaten führt. Was meine Sie damit und mit welchen (auch unlauteren?) Mitteln wird gekämpft?

Die USA führen einen Schattenkrieg gegen den Iran. Neben der permanenten Verletzung des Luftraumes wird seit 2008 ein Cyberkrieg geführt, indem Teile der iranischen Industrie durch Computerviren lahmgelegt werden. Zudem gehören gezielte Attentate auf Personen, die Unterstützung von nationalen Minoritäten und die Unterwanderung der innenpolitischen Opposition zur Politik der Ausübung von „smart power“, deren Ziel es ist, die islamische Herrschaft im Iran zu stürzen.

Nicht nur Obama setzt weiterhin auf die Macht (bzw. Logik) der Waffen, sondern praktisch der gesamte Westen? Immerhin bleiben Abrüstungskonferenzen bislang ohne nennenswerte Resultate.

Die meisten Politiker in den Staaten des Westens agieren im Kielwasser der US-Politik. Genau dies versucht Obama zu ändern, in dem die Staaten Europas international größere Verantwortung übernehmen sollen. Im Krieg in Libyen wurde dies deutlich. Den schoben die USA an und die England und Frankreich durften und mussten ihn zu Ende führen. Auch bei den Verhandlungen mit Iran über die Nutzung der Atomtechnologie entscheiden die USA. Diese Verhandlungen werden geführt, um den anderen Staaten des Westens im Falle ihres völligen Scheiterns ein militärisches Bündnis aufzwingen zu können.

Warum setzt der Westen noch immer so vehement auf Waffen, anstatt kluge Verhandlungsstrategien zu präferieren?

Weil Krieg als Mittel der Durchsetzung politischer Ziele immer noch nicht geächtet ist.

In Hinblick auf sogenannte „Cyberkriege“ kommen nun auch Kriegsführungen auf uns zu, die sich vor wenigen Jahren noch niemand so recht vorstellen konnte?

Mit Iran habe ich das Beispiel bereits beschrieben. Cyberkrieg und die Automatisierung des Militärischen mit Robotern und Drohnen werden die Zukunft prägen. Die USA arbeiten daran bis 2035 große Teile der traditionellen Kriegsführung automatisieren zu können. Der Einsatz von Drohnen und Robotern bildet heute erst den Anfang.

Staaten erlauben sich demnach, zu Mitteln zu greifen, die ansonsten in die Abteilung Strafrecht gehören? Lassen sich solche Vorgehensweisen überhaupt legitimieren?

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat möglicherweise bereits den Zeitpunkt verpasst, Regelwerke für die Modernisierung der Kriegsführung zu schaffen. Die Internationale Gemeinschaft besitzt nicht die Kraft, die Schaffung von juristischen Rahmenbedingungen für die Kriege von heute, vor allem die die asymmetrischen, anzumahnen oder sie zu schaffen, weil die USA sich mit ihrer diplomatischen Stärke entsprechenden Bemühungen widersetzen. Die UN-Berichte zum Drohnenkrieg sind ein Beispiel für das Versagen der internationalen Gemeinschaft.

Warum ist es für führende Staaten derart schwierig, glasklare und verbindliche Richtlinien aufzustellen? Immerhin geht es um Kriege, die mit unvorstellbar grausamen Mitteln wie etwa Minen und biologischen Waffen geführt werden können?

Genau diese Staaten verfügen über derartige Waffen.

Deutschland hatte sich nach dem Desaster des Zweiten Weltkriegs über viele Jahrzehnte aus aktiven Kriegsbeteiligungen herausgehalten. Trügt der Anschein, dass diese eiserne Regel nicht nur Risse bekommt sondern bewusst gebrochen wird?

Die Bundeswehr wird zu einer weltweit einsetzbaren Freiwilligenarmee ausgebaut.

Woraus resultiert Ihrer Meinung nach diese eklatante Richtungsänderung in Deutschland?

Bundespräsident Horst Köhler nannte die Gründe. Damals trat er zurück.

Der Einsatz von Drohnen zählt auch in Deutschland zu den Top-Diskussionsthemen. Wenn Kriegsführung vom Menschen auf Technik übertragen wird, besteht dann nicht u.a. auch die Gefahr einer Relativierung der Schrecken?

Drohnen verbilligen die Militärausgaben und erhöhen die Effektivität von Waffensystemen. Die Geschichte der Militärtechnik geht einher mit der Relativierung des Schreckens.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass sich Deutschland doch noch rückbesinnt und eine Kehrtwende hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen einleitet – auch, um ggf. als Vorbild zu dienen?

Für eine Rückbesinnung fehlen das Bewusstsein und die politischen Kräfte. Leider sind Kriege für die meisten Deutschen ein Phänomen der Geschichte. Die Greuel und das Leid der Kriege geraten immer weiter in Vergessenheit. Und jetzt wird die Kriegführung auch noch Spezialisten übertragen und damit immer weiter aus dem Bewusstsein der Bürger gerückt. Der Staatsbürger in Uniform droht auszusterben und diese Entwicklung wird nicht einmal bedauert.

Das Interview führte Ursula Pidun

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*Horst Köhler-Zitat: „Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“

Source: TV-Journalist Ulrich Tilgner (ORF) über die Auswirkungen westlicher Politik in den Krisenherden.

One Response to „Die Logik der Waffen“ – Interview mit TV-Journalist Ulrich Tilgner

  1. Karl Korn at 11:00

    Ich bedauere das Verschwinden des Staatsbürgers in Uniform sehr.
    Warum? Weil ein Expeditionsarmee aufgebaut wird. Weil Heimatschutzkompanien aufgestellt werden, die den Auftrag haben die Polizei zu unterstützen.Natürlich nur mit handverlesenen Leuten. Könnte es dann irgendwann heißen: Die Armee gegen das Volk?

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