Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel


Familienpflegezeit – ein tragfähiges Modell für die Zukunft

Nicht nur die Geburt eines Kindes, sondern auch die Pflege der eigenen Eltern im fortgeschrittenen Lebensalter stellt viele Familien vor enorme Herausforderungen. Das Institut für Sozialstrategie hat nunmehr ein Modell zur Familienpflegezeit entwickelt.

Altenpflege wird zu einer gesellschaftlichen Herausforderung.

(Foto: Rebmann/Clipdealer.de

Kommt der Pflegefall, beeinträchtigen organisatorische, emotionale und finanzielle Belastungen den Alltag des Familienlebens, aber auch die Leistungsfähigkeit im Beruf. Gesellschaftliche Unterstützungsleistungen für die Familien sind hier bislang nicht ausreichend, um wirklich entlastend zu wirken. Sie werden viel eher als „Tropfen auf den heißen Stein“ betrachtet.

Das unter meiner Leitung geführte Institut für Sozialstrategie hat nun ein Modell entwickelt, das auf bekannte gesellschaftliche Strategien zurückgreift und sie auf das Thema häusliche Pflege anwendet: Die Familienpflegezeit. Gemeint ist die Freistellung eines pflegenden Angehörigen für den Zeitraum von bis zu einem Jahr, aber ohne unzumutbare finanzielle Einbußen. Hierzu sollte der Gesetzgeber es in Form eines Rechtsanspruchs ermöglichen, dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Vereinbarung geschlossen wird, die für 24 Monate gilt und für 12 Monate eine weitgehende oder völlige Freistellung beim Erhalt von 70-90% des Nettoeinkommens vorsieht.

Lücke des Nettoeinkommens schließen

Theoretisch entsteht nun eine Lücke von 50% des Nettoeinkommens. Verschiedene Bausteine helfen, diese Lücke zu schließen:

  • Aus der Entlastung bei der steuerlichen Progression ergeben sich rund 10%.
  • Das Institut für Sozialstrategie fordert einen Beitrag der Pflegeversicherung von ebenfalls 10% und legt Berechnungen zur Finanzierung vor.
  • Arbeitet der Arbeitnehmer einen Tag pro Woche während der Freistellungsphase, werden hieraus auf den 2-Jahres-Zeitraum weitere 10% finanziert.
  • Schließlich sind arbeitgeberseitige Lösungen oder gar tarifvertragliche Einigungen für einen weiteren 10%-Baustein möglich. Für einen solchen 10%-Baustein werden Kosten in Höhe von 5.000-6.000 Euro pro Person veranschlagt.

Anspruchsberechtigung rechtlich absichern

Vielen Familien würde es sehr helfen, wenn sie einen solchen Rechtsanspruch für beispielsweise 12 Monate realisieren könnten. Ein zeitweiliger und begrenzter Einkommensrückgang kann überbrückt und kalkuliert werden – ganz anders als beim Dilemma, den Arbeitsplatz wegen der Anforderungen aus der familiären Pflege gleich ganz aufgeben zu müssen. Und ein Jahr dürfte für die betroffenen Familien überwiegend ausreichen, um eine sinnvolle und dauerhafte Lösung zu finden und praktisch zu organisieren. Für die betroffenen Familienmitglieder ist die Sicherheit des Arbeitsplatzes bei einer überschaubaren und vorübergehenden Einbuße des Gehalts kalkulierbar und vorteilhaft. Für Arbeitgeber ergeben sich Chancen für die Mitarbeiterbindung und Arbeitgeber- attraktivität.

Auch der Staat profitiert

Für den Staat ist eine solche Regelung finanziell günstig. Wenn 100.000- 200.000 Personen die Regelung pro Jahr in Anspruch nehmen würden, kämen auf die Pflegeversicherung Kosten in Höhe von 0.6 – 1.2 Mrd. Euro zu, die auch innerhalb des heutigen Systems finanzierbar sind! Verglichen mit den Kosten anderer sozialpolitischer Maßnahmen sind diese Beiträge eher bescheiden, vermutlich aber hoch wirkungsvoll! Dies gilt nicht nur im Blick auf die soziale Kohäsion, sondern auch weil Menschen sich angesichts familiärer Herausforderungen nicht mehr dazu gezwungen sehen, ihre Erwerbstätigkeit aufzugeben. Anders gesagt: Soziale Innovation lohnt sich und trägt zu kreativen, menschenwürdigen Lösungen im sozialen Zusammenleben bei.

 
Verweis:
Die Wirtschaft ist für den Menschen da