Roland Hermanns


Nichtwählen – ein „Unterschichten-Problem“?

Die Wahl in Bremen hat nicht nur zu interessanten Ergebnissen sondern auch zu einem neuen Negativrekord in Hinblick auf die Wahlbeteiligung geführt. Die ansteigende Anzahl resistenter Nichtwähler hat Gründe. Eigenes Versagen gestehen sich Politiker allerdings nur ungern ein. Schuldverschiebungen sind an der Tagesordnung.

Mangelnde Empathie schlägt sich sichtbar im Alltag wieder. (Foto: Clipdealer.de)

Die Verursacher der desaströsen Wahlbeteiligung werden schnell festgemacht. Wahlbeteiligung sei eine Frage der Bildung, heißt es und vor allem Unterschichten scheuen den Weg zur Wahlurne. Studien zufolge wird die Klassifizierung „Unterschicht“ vor allem Bürgern zugeordnet, die über ein geringes Einkommen, eine mangelhafte Schulbildung sowie einen geringen sozialen Status verfügen. Angesichts eines gigantischen Niedriglohnsektors, der im vergangenen Jahrzehnt – ausdrücklich politisch gewollt – geschaffen wurde und eine massiv zunehmende Armut inkludiert, wird eine solche Definition immer fragwürdiger. Verarmung geht sicher nicht linear mit einem Verlust sozialer Kompetenzen einher. Umgekehrt lassen sich in den sogenannten Oberschichten zunehmend mangelnde soziale Kompetenzen feststellen.

Die Sache mit der Unterschicht

Der unmittelbare Zusammenhang der Klassifizierung zur finanziellen Situation der jeweiligen Bürger wirkt konstruiert, zumal die jeweilige finanzielle Situation dann wiederum in Abhängigkeit zum sozialen Status gestellt wird. Schließlich kann nicht einmal die vorhandene bzw. nicht vorhandene Schul- und Berufsausbildung wasserdichte Diagnosen zu derartigen Klassifizierungen liefern. Es gibt erwiesenermaßen Dummköpfe im Mantel erschlichener Doktorwürden ebenso wie bettelarme Bürger mit beachtlichen Sozialkompetenzen.

Nicht WER, sondern WARUM?

Politiker sind gut beraten, sich hinsichtlich der weiter zunehmenden Zahl an Nichtwählern nicht aus Gründen einer Schuldverschiebung auf das „Wer wählt nicht?“ zu konzentrieren sondern auf das „Warum? Viele Politiker haben sich von der Aufgabe der Volksvertretung denkbar weit entfernt und kochen sozusagen in Klausur ihr ganz eigenes Süppchen. Zudem beklagen viele Bürger ein Gefühl der Ohnmacht sowie eine zunehmende Entdemokratisierung. Das ist nicht nur eine fatale, sondern eine katastrophale Bilanz der Politik.

Politiker stehen im Dienst der Bürger

Zu unserer Vertretung und damit zur politischen Willensbildung gehört in erster Linie eine unerschütterliche Vertrauensbasis zwischen Volk und Politik. Genau diese aber scheint beinahe irreversibel beschädigt. Politiker müssen sich wieder ihrer speziellen Rolle und Aufgabe bewusst werden. Sie stehen im Dienst der Bürger und dies sollte wieder verdeutlicht aber auch eingefordert werden. Dafür werden Politiker u.a. auch finanziell gut abgesichert und genießen Privilegien, die sie jenen zu verdanken haben, die sie adäquat vertreten sollen.

Eine Schuldverschiebung in Richtung Nichtwähler taugt daher lediglich zu einer Verstärkung des bestehenden Vertrauensbruchs. Diesen Bruch bis zur Bundestagswahl zu kitten, scheint so gut wie aussichtslos. Es würde bedeuten, Fehler im Sinne eines politischen Versagens zu erkennen und zu korrigieren. Dies aber wird angesichts des Ausmaßes an Distanz zwischen Nichtwählern und der Politik zu einer Aufgabe mehrerer Legislaturperioden – vorausgesetzt, es besteht dazu der feste Wille. Doch selbst daran zweifeln nicht wenige Bürger.

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