Ursula Pidun


Die Arroganz der Macht und ihre Folgen

Eine selbsternannte Elite aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bedient die Hegemonieapparate in einer Weise, wie selten zuvor. Sie sieht sich hierzu geradezu berufen. Ziel ist "die Herstellung eines gesellschaftlichen Konsenses, der eine reibungslose Herrschaft erlaubt. Die Arroganz der Mächtigen nimmt dabei ständig zu."

Arroganz der Macht

Es braucht mutige Bürger, die sich von der Obrigkeit nicht einschüchtern lassen.

(Foto: picsfive/Clipdeler.de)

Die obige Aussage ist nicht etwa Resultat enttäuschter Wähler, Stammtischgerede aufgebrachter Bürger oder Fazit einer Pegida-Kundgebung. Sie stammt vielmehr von keinem Geringeren als dem renommierten, emeritierten Staatswissenschaftler Prof. Dr. Rüdiger Voigt. Und er stellt im Rahmen seiner aktuellen Publikation „Die Arroganz der Macht – Hochmut kommt vor dem Fall“ die provokante Aussage Platons in den Raum, wonach Demokratie womöglich eine „beliebige Laune des Volkes“ sei. Folgt unsere selbst ernannte Elite zunehmend dieser These und autorisiert sich damit, das Volk, von dem im tatsächlich demokratischen Sinne alle Macht auszugehen hat, zur Demokratie erziehen zu wollen?

Verheerendes Bild in der Öffentlichkeit

Fakt ist, dass eben jene selbst ernannte Elite, die sich seit Jahren offensichtlich schwer tut mit Meinungsvielfalt und Bürgerwillen und in der Öffentlichkeit ein verheerendes Bild der Arroganz hinterlässt, ursächlich zu den besorgniserregenden und zunehmend rechtslastigen Entwicklungen beiträgt. Denn das Volk erteilt den Herrschenden nicht nur hierzulande, sondern weltweit beinahe reflexartig eine Abfuhr auf den politischen Hochmut: Die Briten sind inzwischen aus der EU ausgeschieden, die Amerikaner haben Donald Trump zum Präsidenten gewählt und der Rechtspopulismus treibt hässliche Blüten.

Schon 1999 prophezeite der amerikanische Philosoph, Komparatist und Vertreter des Neo-Pragmatismus Richard Rorty:

„Eines Tages wird es einen Riss in Amerika geben. Ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft wird zu dem Schluss kommen, dass das System gescheitert ist und wird sich nach dem starken Mann umsehen, den es wählen kann. Der wird ihnen versichern, dass nach seiner Wahl die schmierigen Bürokraten, die Winkeladvokaten, die überbezahlen Fondsmanager und die postmodernen Professoren nichts mehr zu sagen haben werden. Ist ein solcher „strongman“ einmal gewählt, vermag niemand zu sagen, was passieren wird.“

Die Sorgen der Menschen bleiben ungehört

Wohl bemerkt – dies äußerte Rorty bereits 1999. Auch in Deutschland ist es längst zu bedenklichen Entwicklungen gekommen, wie etwa Pegida-Demonstrationen und die Bildung der AfD-Partei. Sie sitzt bereits im Deutschen Bundestag. Die wenigsten Anhänger folgen wohl aus tatsächlicher Überzeugung, sondern wählen aus purer Notwehr. Ein unverantwortliches Resultat der Arroganz der Macht mit ihrer selbstüberschätzenden Unwilligkeit, das Volk als Souverän zu respektieren und anzuerkennen, geschweige denn zuzuhören, Ängste ernst zu nehmen und im wahren Wortsinn als Volksvertreter zu agieren.

„Wenn man die Sorgen der Menschen, Ihre Unzufriedenheit und ihr Misstrauen gegenüber der Politik und Politikern nicht ernst nimmt, droht eine Entscheidung des Volkes mit weitreichenden Folgen, wie etwa das Votum der Briten, aus der Europäischen Union auszuscheiden (Brexit). Wenn Frust und Wut der Wahlbürger überkochen, kann es zur Wahl eines Donald Trump zum US-Präsidenten und damit zur Abkehr von fast allen bisher geltenden Regeln kommen. Das Ende der Rationalität in der Politik scheint nahe zu sein,“

schreibt der Staatswissenschaftler Rüdiger Voigt so auch in einer erstklassigen und empfehlenswerten Publikation.“ Das Jahr 2017 stelle eine Zäsur dar, die vergleichbar sei mit der des Jahres 1917, so der Autor. Ein neues Zeitalter habe begonnen, der Untergang der Demokratie sei ebenso möglich, wie ihre Renaissance.

„Die Herrschenden sind nicht nur überrascht von der Reaktion der Beherrschten, sondern sie sind entsetzt. Sie fallen gewissermaßen „aus allen Wolken“. Offenbar ist alles möglich – auch der Verlust der eigenen Position – wenn man das Volk entscheiden lässt. Trifft also Richard Rortys pessimistische Sicht zu, dass die Eliten – angesichts der vielfältigen Gefahren – davon überzeugt sind, dass die Demokratie zerstört werden muss, um sie zu retten? Schließlich wissen diese Eliten doch offenbar sehr viel besser, was für die Menschen gut ist, als diese selbst. Mit andern Worten: Zunächst müssen die Bürgerinnen und Bürger zum „Guten“ erzogen werden, bevor man sie wählen lassen kann.“

Für ein besseres Verständnis der aktuellen Probleme

Voigt trägt mit seinen umfassenden Themenspektren der politischen Soziologie, politischen Theorie, Staatswissenschaft und Demokratietheorie zu einem besseren Verständnis für die aktuellen Probleme bei. Dabei belässt er es nicht, sondern wendet sich machbaren Lösungsansätzen zu. Sie zu realisieren erfordere jedoch die Rehabilitation des Begriffs des Bürgers als „Citoyen“. „Vom Wutbürger“ zum „Mutbürger“. und damit zum Bürger, der sich aktiv beteiligt und mutig die demokratischen Freiheiten verteidigt.

Es liegt ganz auf dieser Linie, wenn aus sog. „Wutbürgern“ „Mutbürger“ werden, die gewillt sind, ein Risiko auf sich zu nehmen, um – auch öffentlichkeitswirksam – gegen die staatliche Gängelung und für die individuelle Freiheit zu kämpfen,“

resümiert Voigt und schreibt:

„Die Selbstfindung des Einzelnen als Bürger, als Citoyen, ist allerdings keineswegs einfach. Sie ist den Herrschenden lästig, es stört sie bei ihrem Tun. Die Demokratie braucht aber selbstbewusste, engagierte und mutige Bürger und Bürgerinnen, die sich von der „Obrigkeit“ nicht einschüchtern lassen.“

Maßgeblichen Anteil an der Stärkung der Demokratie muss aber auch eine selbstkritische und umsteuernde politische Klasse bieten, die eigene Defizite konsequent abstellt und sich von arroganten Verhaltensweisen verabschiedet. Politiker sind temporär gewählte Repräsentanten und keine Monarchen. Nicht Postengeschiebe, ein unangemessen aufgeblähtes Parlament und ein überbordender Lobbyismus stärken die Demokratie. Gefragt ist eine Volksvertretung, die diese Prädikatisierung tatsächlich auch verdient.