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„Das Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“

Das Buch "Vermächtnis - Die Kohl-Protokolle", publiziert von Heribert Schwan und Tilman Jens, ist dem Nachrichtenmagazin SPIEGEL jede Menge Online-Getöse und gar eine Print-Titelgeschichte wert. Die ungewöhnliche Marketing-Offensive spricht Bände. Von Macht-Allüren über gekränkte Eitelkeit bis hin zu späten Rachegelüsten ist alles dabei.

„Das Vermächtnis – Die Kohlprotokolle“ ist eine denk- und gleichsam merkwürdige Publikation. Vollmundig verspricht der Buchband tiefgehende Einblicke in das Vermächtnis von Ex-Kanzler Helmut Kohl. Doch es verlangt dem Leser eine Menge ab. So wird er stiller Zeuge ziemlich übler Nachrede gegenüber politischen Weggefährten, die der einstige Staatsmann im Keller seines Einfamilienhauses in Oggersheim redselig von sich gegeben haben soll. Gleichsam drängt sich spürbar gekränkter Stolz eines Journalisten auf, der sich offensichtlich schroff zurückgestoßen fühlt.

Cover: Heyne-Verlag

Entstanden sind die Ausführungen bzw. Äußerungen Kohls im Rahmen von rund 630 Gesprächsstunden zwischen dem Altkanzler und dem Historiker und Journalisten Heribert Schwan in den Jahren 2001 und 2002. Einst wurde Schwan eigens vom Altkanzler zum Ghostwriter seiner Memoiren ausgesucht. Drei Bände sind erschienen, dann kam das Aus.

Maike Kohl-Richter, die sich seit der Heirat mit dem Altkanzler drastischen Vorverurteilungen ausgesetzt sieht, kommt hier einmal mehr nicht gut weg und wird für den Bruch der beiden Gesprächpartner verantwortlich gemacht. Derart abserviert, drängt Schwan mit Hilfe von Co-Autor Tilman Jens dennoch an die Öffentlichkeit. Mit dem „Vermächtnis“ will er klären, wie Kohls damaliges Wirken zu verstehen ist und was am Bild dieses „Jahrhundertpolitikers“ verzerrt erscheint. Doch „durch wen erfahren wir, wie er (Kohl) dachte, taktierte, handelte?“

Abgeschlossen im politischen Kosmos

Durch die Autoren jedenfalls nicht. Hier rechnet eher jeder mit jedem ab. Dramaturgisch gut aufbereitet dreht sich im „Vermächtnis“ alles um Macht und Machtspielchen in einem politischen Kosmos, der sich vom realen Leben so weit entfernt zeigt, wie der Mars von der Erde. Demgegenüber präsentiert sich ein wohl ziemlich düpierter Journalist und Gesprächspartner, der es versteht, seine eigene Abrechnung für die Zurückweisung in spannende Worte zu kleiden. Auch der SPIEGEL schnappt sich seinen Part und unterstützt die Publikation, die Kohl nicht unbedingt in ein gutes Licht versetzt. Späte Genugtuung für eine permanente und strikte Zurückweisung durch Kohl?

Zweifelsfrei und zweifelhaft

Zweifelsfrei – die sprachliche Darbietung dieser Publikation ist gelungen. Der komplette Rest steht unter Vorbehalt. Immerhin steht der hohe Anspruch im Raum, authentische Äußerungen des Altkanzlers im Sinne eines Vermächtnisses in Zitatform zu veröffentlichen. Die Beweise liegen unter Verschluss, sie bleiben der Öffentlichkeit damit verborgen. Allein Kohl obliegen laut einem Gerichtsbeschluss die Nutzungsrechte zu den Tonbändern bzw. den inzwischen konfiszierten Mitschnitten, die hier die Grundlage der Aussagen bilden.

Eine Schreckschraube, die sich hochhievt

Die Oggersheimer Kellergespräche mit Rundumschlag haben durchaus das Potenzial zum Bestseller. Hier wird Häme bedient und die kommt beim Volk bekanntlich gut an. Um die im Buch fortlaufend bemühten (vermeintlichen) Kohl-Zitate ranken sich teils amüsante, teils haarsträubende Geschichten um politische Prozesse zu Kohls Zeiten, ein Intriganten-Stadl mit Ungereimtheiten bis hin zu Exzessen am Rande der Legalität. Mit parteipolitischen Weggefährten geht Kohl in diesem Buch nicht zimperlich um. Neben bereits bekannten Behauptungen, zu denen neben den angeblich so unrühmlichen Tischmanieren Angela Merkels auch weitere Zoten ans Tageslicht geraten, soll Kohl in den Tiefen des Oggersheimer Eigenheimkellers u.a. Folgendes von sich gegeben haben:

„XY, die Schreckschraube, die sich wegen günstiger Todesfälle in der Frauenunion hochhievte ins Kabinett“.

„XY“ steht hier für eine im Buch namentlich benannte und sehr bekannte Politikerin, wobei die Autoren diesen Namen nicht in Parenthese setzen. Warum nicht, fragt hier der aufmerksame Leser. Nicht nur an dieser Stelle kommen Zweifel in Hinblick auf die Zitate bzw. deren inhaltliche Zuordnung auf, die letztlich nur durch eine Veröffentlichung der Bänder ausgeräumt werden können. Andererseits wird ein ausgewiesener Journalist wohl kaum Kohl-Zitate veröffentlichen, die der Altkanzler so möglicherweise nicht von sich gegeben hat. Auch der SPIEGEL wird sich angesichts massiver Bewerbung dieser Publikation rückversichern. Oder etwa nicht? Aufmerksame Zeitgenossen der Kohl-Ära wissen zudem um die selbstbewussten Aussagen und gelegentlich derbe anmutenden Kommentare, zu denen sich Kohl hinreißen ließ.

Kein historischer Mehrwert und auch keine Brisanz

Zweifel sind dennoch legitim und es geht dabei nicht um Erbsenzählerei. Eine Reihe weiterer Zitate in diesem Buch wirken völlig Kohl-untypisch und werden auch nicht durch einen „maßlosen Rückblick im Zorn“ erklärbar. Schließlich bleibt im Angesicht tendenziell boshafter, in Teilen auch regelrecht schlüpfriger und inhaltlich fragwürdiger Aussagen im Sinne einer Bilanz eines politischen und historischen Mehrwerts nicht allzu viel übrig. Relevante Einsichten, die zu einer geschichtlichen Neueinordnung führen könnten, bleiben ebenso aus. Dies betrifft auch die für die Bürger so wichtige Spendenaffäre, die mit u.a. folgenden Worten Erwähnung findet:

„Ich habe mich in der Spendengeschichte nicht gebeugt und habe keine Namen genannt. Ich werde sie auch nicht nennen. Und so, wie ich in dieser Sache zu meinem Prinzip stehe, stehe ich auch zu meinem Prinzip, dass ich nicht zulasse, dass es in einem Land in Ordnung sein soll, dass die Stasi-Ratten aus der Gruft hervorkriechen und ihren Gestank verbreiten.“

Nicht eindeutig zuzuordnen

Selbst in einer wesentlichen Frage zu Gerhard Schröders Arbeitsmarkreform bleibt die tatsächliche Haltung Kohls schwammig. Ein hierzu veröffentlichtes Zitat lässt sich nicht eindeutig dieser Thematik zuordnen. Dies aber wäre eine Mindestmaß an Erfordernis, um das Bild des zutiefst westlich und freiheitlich geprägten Ex-Kanzlers zu revidieren und ihn womöglich in die Ecke jener zu verfrachten, die glauben, aufgrund der Wiedervereinigung müsste das normale Volk nicht mehr am Wohlstand beteiligt sein.

Das Ende der Oggersheimer Kellergespräche

Mit einer „kleinen Verneigung zum Schluss“ müht sich Schwan schließlich um versöhnliche Worte. Ob das noch hilft, verlorenes Vertrauen zu reanimieren? Für Journalisten wird es künftig schwieriger, gute und vor allem vertrauliche Gespräche mit Politikern zu führen.

Schließlich bleibt die wichtige Frage, ob die im Buch dargelegten Zitate ausreichen, „ein facettenreiches“, vor allem aber ein authentisches Bild vom Staatsmann Helmut Kohl zu zeichnen. War es die Aufregung der vergangenen Tage wert und ist ein Journalist tatsächlich nur ein „Mikrofonträger“, wenn er anvertraute Aussagen bzw. ausgesprochene Gedanken eines Gesprächspartners für sich behält, solange sie nicht autorisiert werden? In Oggersheimer Haus des Alt-Kanzlers Helmut Kohl jedenfalls finden wohl niemals mehr Kellergespräche statt.

Header-Foto: Cover Heyne-Verlag