Roland Hermanns


Russland-Konflikt – Lässt sich die Welt militärisch befrieden?

Wir befinden uns im 21. Jahrhundert und damit in modernen, friedlichen Zeiten? Schön wär's! 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und 75 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen mit den dann folgenden Gräueltaten rücken Kriegsszenarien in Europa wieder erschreckend dominant in den Fokus. Eine Betrachtung von Ursula Pidun.

Schnelle Eingreiftruppen zur Befriedung der Welt? (Foto: veneratio / Clipdealer.de)

Angesichts der zunehmenden Unruhen und völkerrechtlichen Auseinandersetzungen auch in Europa lehnen sich maßgebliche politische Instanzen gefährlich weit aus dem Fenster. Deutschland möchte wieder mitmischen, wenn es darum geht, die Welt notfalls militärisch zu befrieden. Ein Widerspruch in sich. Beschönigt wird dieses Ansinnen mit Argumenten, die BRD müsse nach 70 Jahren Zurückhaltung nun endlich Verantwortung tragen. Genau dies aber hat unser Land sieben Jahrzehnte lang erfolgreich praktiziert. Das soll nun durchbrochen werden. Es geht nicht mehr „nur“ um humanitäre Hilfe, sondern um militärische Beteiligung und Deutschland steckt bereits mittendrin.

Die Macht der westlichen Mächte

Mittendrin im beinahe sehnsuchtsvoll anmutenden, synchrongeschalteten Blick der Teilnehmer des zurückliegenden NATO-Gipfels gen Himmel beim Vorüberrauschen hochmoderner Kampfjets etwa. Dort, auf dem Gipfel der Macht, bot sich ein geradezu absurdes Szenario. Als Drohgebärde drapierte Panzer aus Pappmaché, die auf der saftig-grünen Golfplatzwiese am Gipfel-Tagungsort Newton reißerisch inszeniert und umrahmt vom „Eurofighter Typhoon“ die Macht der westlichen Mächte signalisieren sollten. Wer arglos an unüberlegte Kindergarten- bzw. Sandkastenspiele denkt, wird schnell eines Besseren belehrt. Hier entscheiden Volksvertreter über Krieg und Frieden. Sind Sie sich dessen tatsächlich bewusst?

Diplomatische Verhandlungen nicht ausgereizt

Was angesichts der unglaublich filigranen Sicherheitslage in Europa wie ein bizarres Spektakel wirkte, soll Russland abschrecken. Die Geste aus Pappmaché wird Wladmir Putin verstehen, wenngleich nicht umhauen. Die Ausweitung bestehender Sanktionen ebenso. Und nun? Zieht jetzt der ersehnte Frieden in die Ukraine ein? Lässt sich Putin ködern, Kompromisse zu schließen? Schließlich wird es ohne kaum gehen. Die aber setzen eine Befähigung zu weitreichenden diplomatischen Verhandlungen voraus. Als Konsequenz aus den Schrecken des Zweiten Weltkrieges geht es um das Halten des Versprechens, völkerrechtliche Konflikte ohne Gewalt zu lösen, sei es auch noch so anstrengend, mühevoll und kräftezehrend.

Ein Fall für die Europäische Union

Doch so weit man den Blick auch in alle Richtungen reckt – da wird kein zäher Chefdiplomat mit Durchhaltevermögen, keine herausragende Größe oder gar ein begnadeter Verhandler in Sachen Befriedung von Auseinandersetzungen wie etwa dem Russland-Ukraine-Konflikt erkennbar. Es geht über gut gemeinte, aber spröde und abgezählte Dialoge inklusive gelegentlicher Kanzlerinnen-Telefonate zumindest erkennbar nicht wesentlich hinaus. Gespräche auf Augenhöhe können nur stattfinden, wenn man sich tatsächlich auch in die Augen sieht. Liegt die diplomatische Verantwortung nicht ohnedies bei der Europäischen Union? Und hätten die diplomatischen Bemühungen nicht viel eher beginnen müssen, anstatt sich an krummen Gurken abzuarbeiten? Derweil wird die Situation immer komplizierter und schwieriger. „Man“ zeigt sich bemüht, immer neue Ideen beizusteuern, die Putin aus der Reserve locken. Deeskalationen sehen wahrlich anders aus und die Signale, die der Westen sendet, tragen kaum zur Befriedung bei.

Gute Ausgangslage für Kompromisse

Die aber wäre dringend vonnöten. Der Schaden, der durch eine militärische Auseinandersetzung mit Russland enstehen würde, wäre völlig unkalkulierbar und kommt für keinen klar denkenden Menschen auch nur andeutungsweise in Betracht. Die Ausgangslage für das Aushandeln von Kompromissen lässt sich zudem als ziemlich gut werten. West und Ost haben im Falle des Bruchs viel zu viel zu verlieren und auch Putin wird wohl kaum ein derartiges Desaster erwägen. Eine Lösung im Russland-Ukraine-Konflikt erscheint machbar. Durchaus mit Akzeptanzen für alle Seiten, denn die Ukraine als maßgebliches Tor zum Osten mit allen daraus resultieren Rahmenbedingungen wäre beispielsweise eine Option.

Verheddert in unlösbaren Dissonanzen

Derweil aber zeigen Sanktionen und Drohgebärden des Westens Wirkung – allerdings wohl anders als erwartet. Russland geht als Folge des mangelhaften diplomatischen Austauschs weiter auf Distanz und droht dem Westen seinerseits mit Sanktionen wie etwa einem Überflugverbot. Viele westliche Unternehmen wird dies hart treffen. Die Schlinge der Dialogunfähigkeit zieht sich immer enger zu und würgt am Ende jedes Wort ab. In Hinblick auf die bisherigen Anstrengungen ist genau das zu befürchten.

So schaukeln sich Kriege auf, die später explosionsartig auch viele andere Regionen erschüttern, die ursprünglich gar nicht in den Ausgangskonflikt verwickelt waren. Die Geschichte: „Wie entsteht Krieg?“ folgt den stets gleichen Strukturen: Die Protagonisten verheddern sich in immer weitere Dissonanzen und können schließlich auf diplomatischem und zivilisatorischem Wege vermeintlich nicht mehr zurück. Die Barbarei beginnt – nichts anderes sind Kriege, ganz gleich aus welchem Grund und von welcher Seite aus das Drama seinen Lauf nimmt.

Krieg als „ultma ratio-Element?“

Bundespräsident Joachim Gauck rechtfertigte kürzlich seine zustimmende Haltung zu möglichen, künftigen Militäreinsätzen der Deutschen „als ultima ratio-Element einer Gesamtstrategie und unter klaren verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie dem Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen“. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) deutet in diesen Tagen vorsichtig eine Erhöhung des Verteidigungsetats aufgrund „etlicher Zusatzaufgaben“ an. Ein neuer mobiler Luftabwehrlaser, der sogar bei Nebel Drohnen wie etwa Granaten trifft, wird gerade von Boeing auf den Weg gebracht und NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen kündigt eine schnelle Eingreiftruppe an. Sie soll aus 3000 bis 5000 Soldaten bestehen und als Teil der NATO Response Force/NRF innerhalb von zwei bis drei Tagen einsatzbereit sein. Beruhigend klingt das nun wirklich nicht und schon gar nicht nach friedlichen Zeiten, in denen der Verstand nach lehrreichen 100 Jahren einen maßgeblichen Entwicklungsschritt absolviert hätte.

Source: Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und 75 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen rücken Kriegsszenarien in Europa wieder erschreckend dominant in den Fokus.